Der Angeklagte blickt einfach weiter geradeaus, als die Kameras auf ihn gerichtet sind. Er hält sich nicht wie oft vor Gericht üblich einen Aktenordner vors Gesicht, um dieses zu verbergen.
Wie er aussieht, wissen schließlich Tausende: groß, übergewichtig und mit einer Vorliebe für T-Shirts von Metal-Bands. Dem Youtuber «Drachenlord» folgen mehr als 150.000 Menschen. Viele davon aber nicht, weil sie ihn besonders toll finden. Sie sind sogenannte Hater – das Gegenteil von Fans.
Seit Jahren streiten sich der «Drachenlord» und seine Hater – und das längst nicht mehr nur im Internet. Regelmäßig tauchen Schaulustige vor dem Haus des Videobloggers in dem mittelfränkischen Dorf Altschauerberg auf, um einen Blick auf ihn zu erhaschen, Selfies zu machen – und um ihn zu provozieren.
Weil er in mehreren Fällen nach gegenseitigen Beschimpfungen handgreiflich wurde, muss der 32-Jährige jetzt unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung eine Haftstrafe von zwei Jahren verbüßen. «Dieses Verfahren ist ein trauriges Beispiel dafür, welche Folgen Hass und Mobbing im Internet haben», sagt die Richterin am Donnerstag bei der Urteilsverkündung in Nürnberg. Der Angeklagte sei Täter und Opfer zugleich.
Aus Sicherheitsgründen hatte das zuständige Amtsgericht Neustadt an der Aisch die Hauptverhandlung nach Nürnberg verlegt. Etliche Neugierige sind am Donnerstag vor das Strafjustizzentrum gekommen, um den Prozess zu verfolgen. Im Gerichtssaal finden aber nur wenige von ihnen wegen der Corona-Abstandsregeln Platz.
Nacheinander verliest die Staatsanwältin sieben Anklageschriften für Vergehen von 2019 bis 2021, die der Youtuber auch einräumt: Es treffe zu, dass er einen Mann vor seinem Haus mit einer Taschenlampe attackiert und an der Stirn verletzt habe, sagt der 32-Jährige. Einen anderen habe er in den Schwitzkasten genommen und geschlagen. Auch Polizisten habe er beleidigt.
Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Begonnen hat das Ganze 2014, als der Blogger seine Adresse in einem seiner Videos nannte und seine Gegner aufforderte, zu ihm zu kommen. Seitdem ist das beschauliche 40-Einwohner-Dörfchen Altschauerberg alles andere als beschaulich: Mehrmals täglich muss die Polizei wegen Ruhestörung, Hausfriedensbruchs und anderer Anzeigen ausrücken.
Es ist bereits das zweite Mal, dass sich der Youtuber wegen Körperverletzung vor Gericht verantworten muss. Im September 2019 wurde er wegen einer Pfefferspray-Attacke zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Einige der nun angeklagten Taten beging er noch während der Bewährungszeit.
Hasskriminalität in den sozialen Medien ist ein bekanntes Problem – und beschäftigt schon länger Polizei und Justiz in Deutschland. Auch kommt es mitunter vor, dass aus einem Streit im Netz reale Gewalt wird. So trafen sich im März 2019 rund 400 Jugendliche auf dem Berliner Alexanderplatz zu einer Massenschlägerei, nachdem zwei im Clinch liegende Influencer ihre Fans dazu aufgerufen hatten.
Nichts davon sei aber vergleichbar mit dem «Drachenlord»-Phänomen, sagt der Medienwissenschaftler Christian Gürtler von der Universität in Erlangen. «Das ist ein absolut herausragendes Beispiel von Hass im Netz, weil dieser auch offline weitergeht.» Normalerweise hielten Influencer ihre privaten Adressen geheim – und sollten diese doch bekannt werden, zögen sie meist um.
Doch nicht der «Drachenlord». Konflikte scheint er nicht zu scheuen. In seinen Videos über sich und sein Leben gibt er oft extreme Ansichten von sich. Seine Hater beschimpfen ihn dafür, aber machen sich auch über sein Aussehen, sein Gewicht und seinen Dialekt lustig.
Einer seiner Gegner, der am Donnerstag im Gerichtssaal sitzt, begründet seine Abneigung so: «Er fordert es heraus.» Er sei respektlos, rede mit den Leuten von oben herab. Ein anderer zählt auf, was der «Drachenlord» in der Vergangenheit so alles von sich gegeben habe – und gibt dann zu: «Es sind alles Nichtigkeiten, aber wenn die alle zusammenkommen…»
Es habe sich durch Influencerinnen und Influencer, die auf ihn reagierten, durch die mediale Berichterstattung, die Zuschauenden und nicht zuletzt durch ihn selbst eine Art negative Marke aufgebaut, sagt Gürtler. Durch diese und andere Faktoren sei auch der Hype entstanden, nach Altschauerberg zu fahren, um einen Blick auf sein Haus zu werfen, erklärt der Medienwissenschaftler.
Sein zweifelhafter Ruhm scheint dem «Drachenlord» zu nutzen. Zumindest scheint er davon einigermaßen leben zu können. Als Berufsbezeichnung gibt er vor Gericht Youtuber oder Influencer an. 3500 bis 6000 Euro verdiene er dank Youtube monatlich, sagt er. Davon fließe aber viel in die Tilgung von Schulden.
Die Finger vom Internet lassen, das kommt für den «Drachenlord» nicht infrage. Im Prozess kündigt er an, dass er sein Haus inzwischen verkauft habe und aus Altschauerberg wegziehen werde. Er plane aber, künftig weniger aktiv im Internet zu sein. Das Urteil könnte seine Youtube-Karriere vorerst beenden. Es ist jedoch noch nicht rechtskräftig.
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