Der Verfassungsschutz darf künftig nicht mehr so viele heimlich gesammelte Daten über Personen an die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden weitergeben. Die bisherigen Übermittlungsbefugnisse sind zu weitgehend und verstoßen gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, wie das Bundesverfassungsgericht entschied.
Das Bundesverfassungsschutzgesetz muss bis spätestens Ende 2023 überarbeitet werden, für die beanstandeten Vorschriften gelten bis dahin Einschränkungen. Das teilte das Karlsruher Gericht am Donnerstag mit. (Az. 1 BvR 2354/13)
Geklagt hatte ein Mann, der 2018 im Münchner NSU-Prozess wegen Beihilfe zu einer dreijährigen Jugendstrafe verurteilt worden war. Er hatte gestanden, den Rechtsterroristen des «Nationalsozialistischen Untergrund» (NSU) die Pistole übergeben zu haben, mit der später neun rassistisch motivierte Morde begangen wurden.
Die Verfassungsbeschwerde hatte er bereits 2013 eingereicht. Dabei ging es um die 2012 neu geschaffene Rechtsextremismus-Datei (RED), über die die zuständigen Behörden in Bund und Ländern Informationen zu gewaltbezogenen Rechtsextremisten austauschen. Das RED-Gesetz verweist auf die Übermittlungsbefugnisse im Verfassungsschutzgesetz.
Bei den nun beanstandeten Vorschriften (Paragrafen 20 und 21) geht es um die Datenübermittlung an Polizeien und Staatsanwaltschaften, um Staatsschutzdelikte zu verhindern oder zu verfolgen. Sie betreffen die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder.
Unterschiedliche Aufgabenbereiche
Die Richterinnen und Richter betonen zwar, dass die Befugnisse dem «legitimen Zweck» dienten, «Staatsschutzdelikte effektiv zu bekämpfen und damit einhergehend den Bestand und die Sicherheit des Staates sowie Leib, Leben und Freiheit der Bevölkerung zu schützen». Der Erste Senat hatte aber schon früher für den Austausch zwischen Nachrichtendiensten und Polizei besonders strenge Vorgaben gemacht.
Grund dafür sind die unterschiedlichen Aufgabenbereiche: Die verdeckt arbeitenden Geheimdienste dürfen sehr viel, müssen sich aber auf Beobachtung und Aufklärung beschränken. Für das Eingreifen bei Straftaten ist die Polizei zuständig, die sich an viel genauere Regeln zu halten hat. Dieses sogenannte Trennungsprinzip darf nicht unterlaufen werden, indem die Nachrichtendienste ihre gesammelten Daten einfach an die Polizei für deren Einsätze weiterreichen.
Konkret bedeutet das, dass die Übermittlung nur bei besonders schweren Straftaten erlaubt ist. Im Verfassungsschutzgesetz ist eine Weitergabe von Daten aber bisher auch bei bestimmten anderen Straftaten vorgesehen. Ab sofort ist die Übermittlung nun nur noch «zum Schutz eines Rechtsguts von herausragendem öffentlichem Interesse zulässig», wie es im Karlsruher Beschluss heißt.
Bei den infrage kommenden Straftaten könne es grundsätzlich auch um reine Vorbereitungen gehen, stellten die Richter klar – also zum Beispiel für einen Terroranschlag. Es müsse aber sichergestellt sein, dass die Gefahr im Einzelfall hinreichend konkret sei.
Der Kläger hatte ursprünglich noch gegen einen weiteren Paragrafen geklagt. Dieser war 2015 aber bereits stark überarbeitet worden – als Reaktion auf ein Karlsruher Urteil zur Antiterrordatei 2013.
Erst vor kurzem hatte der Erste Senat in einem großen Grundsatz-Verfahren das bayerische Verfassungsschutzgesetz unter die Lupe genommen und etliche Befugnisse als zu weitgehend beanstandet. Damals waren unter anderem die Regelungen zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen, zur Online-Durchsuchung und zur Handy-Ortung, zum Einsatz sogenannter V-Leute und zu längeren Observationen betroffen.
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